„Als König fühle ich mich pudelwohl“

Osterwick - Am Tag zuvor waren sie noch Rivalen. Beide traten abwechselnd ans Gewehr, um einen Schuss nach dem anderen auf das hölzerne Federvieh abzugeben. Brudermeister Melchior Lülf musste sich letztendlich geschlagen geben – den letzten Schuss setzte Thomas Hollenborg und wurde umgehend als neuer König der Schützenbruderschaft Osterwick auf die Schultern gehoben. Von der kleinen Rivalität war gestern im Schützenbusch nichts mehr zu spüren, „ich gönne es ihm natürlich“, lacht Lülf und prostet gut gelaunt seiner neuen Majestät zu. „Als König fühle ich mich in Osterwick einfach pudelwohl“, grinst Hollenborg derweil über das ganze Gesicht. Von Leon Seyock

Am Gewehr noch Rivalen, gestern prosten sie sich wieder freundschaftlich zu: Brudermeister Melchior Lülf (r.) und König Thomas Hollenborg. Mit dem 167. Schuss holte er den Vogel von der Stange.

 

Dabei hätten es beide verdient, die Königswürde zu tragen: Melchior Lülf feiert immerhin dieses Jahr sein silbernes Brudermeister-Jubiläum, zugleich schoss sein Vater vor 50 Jahren den Vogel von der Stange. Und Hollenborg? Hatte vor 25 Jahren als Prinz das Sagen. „Dass ich in diesem Jahr auf den Vogel halte, habe ich schon seit Jahren gewusst“, verrät er gestern im Gespräch am Rande des Sternschießens. Der Thron? Kleider für die Frauen? Einladungen? Alles war schon vorbereitet. Nur seine Frau, Melanie Hollenborg, die ihm als Königin zur Seite stehen sollte, zögerte zunächst noch etwas. „Eigentlich stehe ich nicht so gerne im Mittelpunkt“, gibt sie ehrlicherweise zu. Saubere Überzeugungsarbeit hatte die frischgebackene Majestät im Vorfeld scheinbar geleistet, „und wenn man einmal dabei ist, ist es fantastisch“, freut sich die neue Königin, die vor 25 Jahren als Prinzessin den Thron bestieg. „Der Plan ist wunderbar aufgegangen. Es ist ein unbeschreibliches Gefühl, wenn einem alle zujubeln“, genießt Hollenborg das Bad in der Menge.

Locker ist die Stimmung gestern im Schützenbusch, und zufrieden schaut Brudermeister Lülf auf das Fest zurück. Der Ball zu Ehren der abdankenden Königin Anna Sengenhorst am Samstagabend sei „so gigantisch wie selten“ gewesen – trotz des heißen Wetters. Nach dem Frühschoppen ging es am Sonntag dann in den Busch zur Vogelstange. „Das Vogelfieber gibt es wirklich“, wirft König Thomas in die Runde. Das habe ihn sofort nach dem ersten Schuss gepackt. Die Nervosität habe sich schnell gelegt, „und dann war man heiß darauf, den Vogel abzuschießen.“ Das gelang ihm dann mit dem 167. Schuss auch – relativ zügig im Vergleich zum vergangenen Jahr, in dem über 500 Schuss benötigt wurden. „Wir haben dem Vogelbauer extra gesagt, er soll das Federvieh etwas anders bauen“, sagt Lülf. Auch wettertechnisch kam es den Schützenbrüdern und -schwestern gelegen, dass die Proklamation schnell vonstattenging: „Die Kutsche kam gerade am Zelt an, da legte das Gewitter los“, erzählt Königin Melanie. Und 30 Sekunden später, hat Lülf eine Anekdote parat, kam ein Radfahrer prompt mit seinem Drahtesel ins Zelt hineingefahren. „Vor der Theke hat er erstmal sein Shirt ausgewrungen“, lacht er.

Als das Gewitter weiterzog, schloss sich ein rauschendes Fest an. „Wir haben bis spät in die Nacht gefeiert, mit Eierbacken natürlich“, berichtet Hollenborg. Na klar – auch das war bereits vorbereitet. „Ich könnte drei oder vier Mal hintereinander König sein“, grinst er.

Doch da sollte der Brudermeister Lülf etwas gegen haben: „Ich will es nächstes Jahr auf jeden Fall wieder probieren“, stellt er schon mal für 2024 in Aussicht.